Autor: Sören Götz
Viele Kinder werden mit dem Auto in die Schule gebracht. Bedeutet: Stau, Stress, Unfälle. Es gibt Ideen, wie es anders ginge. Aber da ist diese Sache mit dem Vertrauen.
Verstopfte Straßen, hupende Autos, Parken in zweiter Reihe, dazwischen schlängeln sich Kinder zu Fuß oder auf dem Rad hindurch: Solche Szenen spielen sich morgens und mittags vor vielen Schulen ab. Das Problem: zu viele Elterntaxis.
Jedes vierte Grundschulkind wird an mehr als der Hälfte der Tage zur Schule gefahren. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der ADAC-Stiftung. Im Frühling und Sommer bringen demnach 23 Prozent der Eltern ihre Kinder an mindestens drei oder vier Tagen pro Woche mit dem Auto in die Schule, im Herbst und Winter sogar 28 Prozent. Gleichzeitig finden 62 Prozent der Eltern, dass es morgens und mittags zu viel Autoverkehr vor den Schulen gebe. 56 Prozent sagen, dass durch Elterntaxis gefährliche Verkehrssituationen entstünden.
Eltern vertrauen ihren Kindern weniger
Warum entscheiden sich dann trotzdem so viele Eltern dafür, das Kind zu fahren? Ein Grund sei eine verzerrte Selbst- und Fremdwahrnehmung, sagt Yvette Orlowski, die in Karlsruhe als Verkehrspsychologin arbeitet. "Ich halte mich für eine gute Verkehrsteilnehmerin, alle anderen aber nicht", sagt Orlowski mit Verweis auf eine aktuelle Studie der Unfallforschung der Versicherer (PDF). "Die Fähigkeit zur Selbstreflexion hat nachgelassen."
Aber auch das Vertrauen in die Fähigkeit des eigenen Kindes habe abgenommen, sagt die Verkehrspsychologin. Tatsächlich fielen bei der Fahrradprüfung in der vierten Klasse der Grundschule mehr Kinder durch als früher. "Manche Eltern nehmen sich zu wenig Zeit für die Verkehrserziehung ihrer Kinder", sagt Orlowski.
Würden die Eltern mit den Kindern regelmäßig zur Schule laufen oder gemeinsam mit dem Rad fahren, könnten sie ihnen unterwegs viel beibringen und das Vertrauen gewinnen, dass ihre Kinder das irgendwann auch allein können. Aber es fällt Eltern zunehmend schwer, das in ihren Alltag einzubauen. Schließlich arbeiten heute viel häufiger als früher beide Elternteile.
Der BiciBus und seine Vorzüge
In den vergangenen Jahren haben sich vermehrt Eltern zusammengeschlossen, die diese Entwicklung nicht länger hinnehmen wollen. Bei Plan D von ZEIT ONLINE etwa fand das Konzept des BiciBus großen Zuspruch. Die Idee kam 2020 aus Barcelona nach Deutschland. Übersetzen lässt sich BiciBus mit Radbus. Kinder fahren gemeinsam zu einer festen Uhrzeit eine bestimmte Route zur Schule. Je nach Gruppengröße werden sie von einem oder mehreren Erwachsenen begleitet. An festgelegten Orten können sich weitere Kinder anschließen, so wie sie an Haltestellen in einen Bus einsteigen würden.
Manche Vorteile sind offensichtlich: Es muss nicht jedes Kind jeden Tag von demselben Erwachsenen begleitet werden. Und Gruppen sind auf der Straße besser sichtbar als einzelne Kinder. "Schon Sechsjährige sagen uns, dass sie sich in der Gruppe sicherer fühlen", berichtet Simone Markl, die gemeinsam mit ihrem Mann Klaus in Frankfurt am Main 2021 einen der ersten deutschen BiciBusse ins Leben gerufen hat und die Seite bicibus.de betreibt. Die beiden haben einen siebenjährigen Sohn.
Der BiciBus hat aber noch einen weiteren, weniger offensichtlichen Vorzug: Ab 16 Radfahrern bildet eine Gruppe einen geschlossenen Verband. Dann dürfen auch Kinder unter acht Jahren mit auf der Straße fahren, die laut Gesetz noch auf dem Bürgersteig fahren müssten. Ein solcher Verband darf außerdem eine Kreuzung geschlossen überqueren. Springt die Ampel währenddessen auf Rot, dürfen die Teilnehmer trotzdem weiterfahren.
Es fehlen engagierte Eltern
Inzwischen listen Simone und Klaus Markl auf ihrer Webseite in mehr als 40 Städten Initiativen auf, denen Eltern sich anschließen können. In Frankfurt unterstütze sogar die Stadtverwaltung die Organisation, sagt Simone Markl.
Allerdings fährt bislang ihren Angaben zufolge noch keiner der BiciBusse täglich. Es fehle vor allem an Eltern, die regelmäßig mitfahren, sagt Simone Markl. Das sei die größte Herausforderung. "Viele trauen es sich nicht zu, dabei ist es ganz einfach."
Verkehrspsychologin Orlowski allerdings kann verstehen, wenn Eltern vor der Verantwortung für eine Radfahrgruppe zurückschrecken: "Man kann ja nicht sicher sein, dass fremde Kinder auf einen hören." Klaus Markl betont, dass die Kinder auf dem Schulweg automatisch unfallversichert seien – auch im BiciBus. Vielleicht würden sich leichter Eltern finden, wenn sie für den BiciBus bezahlt würden, sagt Markl, in Portugal sei das üblich.
Pedibusse für die Kleinen
Auch eine andere Idee, die Elterntaxis reduzieren und Kinder zur Selbstständigkeit anleiten soll, bräuchte mehr engagierte Eltern. Sogenannte Laufbusse oder Pedibusse funktionieren wie der BiciBus. Sie bieten sich besonders für Grundschülerinnen an, die keinen weiten Weg haben. Allein an 24 Münchner Schulen gebe es "Busse mit Füßen", teilt die Stadtverwaltung mit, etwa 260 Kinder liefen täglich mit. Vermutlich sind es noch mehr, da es nicht zwingend einer offiziellen Anmeldung bei der Stadt bedarf. Das Mobilitätsreferat unterstützt aber bei Bedarf bei der Organisation.
Die Idee für den Pedibus soll aus Australien stammen und verbreitete sich Ende der Nullerjahre in Europa. Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) bewerbe seit etwa 15 Jahren Laufbusse, sagt Projektbearbeiter Nikolai Palmer, insbesondere bei Aktionstagen am Beginn des Schuljahres. Das Ziel sei, dass die Gruppen irgendwann ohne Eltern gemeinsam zur Schule laufen. Daten dazu, wie viele Pedibusse in Deutschland verkehren, hat der VCD nicht.
Neben solchen Initiativen hält Verkehrspsychologin Orlowski vor allem ein Modell für erfolgversprechend, um Elterntaxis zu verhindern: Wettbewerbe, bei denen Schüler und Schülerinnen Punkte sammeln, wenn sie ohne Auto zur Schule kommen.
Schulradeln heißt eine solche Aktion, die es in vielen Bundesländern gibt. Die Kinder werden dabei als Klasse oder Schule ausgezeichnet, erhalten teilweise einen Preis wie etwa ein Fahrradschloss oder eine -tasche. "Dann betteln Kinder bei ihren Eltern, dass sie nicht mit dem Auto gefahren werden wollen", sagt Orlowski. Das bringe manche Familien vielleicht zum Nachdenken. Auf ihre Kinder hören Eltern schließlich eher als auf andere Eltern.
Auch klassische Schülerlotsen fehlen
Schon lange, bevor es Konzepte wie BiciBusse und Pedibusse gab, sorgten Schulweghelfer, auch Schülerlotsen genannt, für einen sicheren Schulweg und beruhigte Eltern. Sie stehen an Kreuzungen und Zebrastreifen und schauen, dass kein Kind unbedacht über die Straße rennt und Autos bei Bedarf halten. In München zum Beispiel sind rund 540 Ehrenamtliche im Einsatz, das können Eltern oder ältere Schüler sein. Eine interaktive Karte, auf der Eltern den sichersten Schulweg für ihr Kind planen können, zeigt jedoch, dass viele Orte, wo Schülerlotsen stehen sollten, unbesetzt sind.
So scheint neben dem Vertrauen der Eltern in die Fähigkeiten ihrer Kinder und dem Misstrauen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern das Hauptproblem zu sein, dass sich zu wenige Eltern freiwillig engagieren. Das liegt nicht nur daran, dass die Eltern mehr arbeiten als früher – sondern auch an den eng getakteten Terminkalendern mancher Kinder. Tatsächlich gaben nur elf Prozent der Eltern in der ADAC-Umfrage Sicherheitsbedenken als Grund fürs Elterntaxi an. Noch vor schlechtem Wetter (38 Prozent) und "Schule liegt auf dem Arbeitsweg" (30 Prozent) war die häufigste Begründung: Anschlusstermine des Kindes (39 Prozent).
© BiciBus Simone Markl 2022