Frankfurter Rundschau vom 20.20.2023:
Es war am Freitagmorgen noch dunkel, als eine kleine Karawane auf Fahrrädern, begleitet von Liedern wie „Heut‘ ist so ein schöner Tag“, durch die Straßen von Sachsenhausen kurvte. Jungen und Mädchen winkten den Vorbeifahrenden vom Straßenrand aus zu, riefen, sofern sie Mitschüler inmitten der sportlichen Truppe erkannten, etwas herüber. Ein Autofahrer, der von den die Formation flankierenden Polizisten zum Halten gezwungen worden war, vermutete: „Das sind doch bestimmt die Grünen.“ Als Antwort hieß es: „Nein, das sind Eltern mit Kindern, die eine Zukunft haben sollen.“
Zum ersten Mal war ein BiciBus im Süden Frankfurts unterwegs, ein Zusammenschluss von Vätern und Müttern, die ihre Sprösslinge umweltfreundlich zur Schule begleiten. Im Nordend wird eine solche Aktion seit einem Jahr monatlich ausgerichtet, 14 weitere Städte in Deutschland beteiligen sich an der Initiative.
Als Vorbild gilt dabei Barcelona, wo der BiciBus 2020, während der Coronavirus-Krise, erstmals von drei Familien auf die Straße gebracht worden war. Mittlerweile gebe es in der katalanischen Hauptstadt mehr als 100 davon, erzählt Klaus Markl, der mit seiner Frau Simone die Idee in die eigene Heimat verfrachtete. „Wir werden eine solche Zahl in Deutschland nicht erreichen“, vermutet das Mitglied einer erfolgreichen Radsportfamilie. Aber er hege den Traum, Frankfurt zur nationalen Vorzeigestadt in Sachen Zweiradfahren zu machen.
Den Oberbürgermeister hat er schon ins Boot geholt. Mike Josef könnte das erste Oberhaupt der Großstadt überhaupt gewesen sein, das fremde Kinder mit dem Rad zum Unterricht brachte. Neun Schulen gab es an der vier Kilometer langen Strecke, die „Zubringer“ aus Oberrad nicht mitgerechnet.
Der gemeinsame Schulweg stärke die Motorik, aber auch das Sicherheits- und Zusammengehörigkeitsgefühl, ließ Josef am Ende in der Textorschule wissen. Die Stadt sei dabei, das Radwegnetz auszubauen. Schulleiterin Tamara Neckermann hörte das gerne. Das Umfeld ihrer Einrichtung sei nicht sicher genug für jene, die mit dem Rad kommen wollen. Sie vermisse entsprechende Streifen rund um den Schweizer Platz und die Schweizer Straße.
Trotz solch großer Mängel in der Infrastruktur sieht Jens Zemke, der Sportliche Leiter des Radsport-Profiteams Bora-hansgrohe, der sich mit auf den Sattel schwang, keinen Grund, auf das Radeln zur Schule zu verzichten. Er selbst habe als Zehnjähriger jeden Tag den Weg vom Nordend zur Carl-Schurz-Schule auf diese Art und Weise zurückgelegt. „Man muss den Eltern die Angst nehmen“, forderte der 57-Jährige.
Defizite sieht er in Frankfurt im Radsport. Früher habe es da viele Vereine und lizenzierte Kinder gegeben. Jetzt müsse er mit seinem Nachwuchs nach Darmstadt ausweichen, wo es deutlich bessere Bedingungen, etwa eine eigene Bahn, gebe.
Marcel Kittel, 14-maliger Etappensieger bei der Tour de France, teilte seine Erfahrungen aus seiner Wahlheimat Holland. Dort fänden sich in ländlichen Gegenden Gruppen, die zusammen täglich 24 Kilometer Schulweg auf dem Rad zurücklegen. Der 35-Jährige räumte allerdings ein, selbst nach der Grundschule mit dem Bus gefahren zu sein, „auf dem Rad saß ich im Training genug“.
Die eigenen beiden Kinder – das dritte wird im Februar erwartet – „fahren bereits wie die Bekloppten“, obwohl sie erst zweieinhalb und vier Jahre alt sind. Man könne kaum früh genug anfangen, bestätigt Markl; das wirke sich insgesamt positiv auf Koordination und Gleichgewicht aus.
Im BiciBus dürfen auch diejenigen auf der Straße fahren, für die sonst der Bürgersteig vorgesehen ist. Als Teil des Verbandes genießt man weitere Vorzüge: bei Rot über die Ampel rollen, wenn es bei den Vorderen noch Grün war, oder ganze Fahrspuren zu benutzen. Im Frühjahr soll die Aktion in Sachsenhausen monatlich wiederholt werden. Darauf können sich die Lehrer freuen: Kinder, die mit dem Rad zur Schule kommen, zeigen sich der Erfahrung nach wacher in den ersten Unterrichtsstunden.
© BiciBus Simone Markl 2022