Immer weniger Viertklässer fahren sicher mit dem Rad

Main-Echo vom 04.03.2024 • 6. März 2024

Man kann sich auf den Drah­te­sel schwin­gen. Mit dem Ran­zen auf dem Rü­cken zu Fuß zur Schu­le tr­a­ben. Den Rol­ler neh­men. In den Schul­bus stei­gen. Oder sich von Ma­ma chauf­fie­ren las­sen. Es gibt vie­le Mög­lich­kei­ten, den Schul­weg zu­rück­zu­le­gen. Zu­min­dest theo­re­tisch. Prak­tisch schaut die Sa­che an­ders aus. Denn wie ein Kind zur Schu­le kommt, hat auch da­mit zu tun, was es mo­to­risch kann. Nach Be­o­b­ach­tun­gen der Po­li­zei in Main-Spess­art hat sich hier in den ver­gan­ge­nen Jah­ren et­was un­güns­tig ve­r­än­dert.


Kinder seien heute weniger geschickt als noch vor einigen Jahren, sagt Thomas Kaiser von der Polizeiinspektion Karlstadt. Dies beobachteten vor allem seine Kollegen aus den Jugendverkehrsschulen: »Die Anzahl der Kinder, die in der 4. Klasse noch keinen sicheren Umgang mit dem Fahrrad aufweisen, steigt jährlich an.« Einige Viertklässler aus Main-Spessart hätten noch nie auf einem Rad gesessen. Bei der Radfahrausbildung falle zudem immer wieder rücksichtsloses Verhalten einzelner Kinder gegenüber ihren Mitschülern auf.


Motorische Defizite extremer

Eigentlich könnte schon ein Dreijähriger beginnen, mit dem Kinderrad zu üben. Doch nicht alle Eltern fördern von klein auf die motorischen Kompetenzen ihrer Kinder. Insgesamt gibt es laut Anja Kaufmann, Leiterin der Grundschule in Gräfendorf, zwar nach wie vor sehr fitte Kinder. Doch bei Jungen und Mädchen mit motorischen Defiziten sei das Ausmaß extremer geworden: »Es gibt Kinder, die sich beim Hinauf- oder Hinabsteigen der Treppe am Treppengeländer festhalten müssen und die überhaupt sehr ängstlich sind.« Dies sei vermutlich zumindest zum Teil auf eine Überbehütung durch überängstliche Eltern zurückzuführen: »Die lassen ihren Kindern wenig Freiraum.«

Sind die motorischen Defizite sehr ausgeprägt, schlägt Anja Kaufmann den Eltern vor, doch einmal zu einem Ergotherapeuten zu gehen. Zum Glück handele es sich jedoch um Ausnahmen. Die meisten Eltern in Gräfendorf ließen ihre Kinder spielen, toben und gemeinsam in die Schule laufen - auch bei Dunkelheit und bei Nebel. »Oft holt ein Kind das andere ab, in kleinen Gruppen kommen die Kinder dann bei uns an«, so die Rektorin. Es sei immer wieder spürbar, dass die Kinder schon auf ihrem Schulweg viel erlebt haben.

Das Vorurteil, dass Kinder heute lauffaul wären, kann Christoph Rüttiger, Leiter der Grundschule in Frammersbach, mit Blick auf seine Schülerinnen und Schüler nicht bestätigen. Die Beobachtungen der Polizei in Main-Spessart sind für ihn dennoch nachvollziehbar. Die Sicherheit beim Radfahren habe in der Tat in den vergangenen Jahren nachgelassen. In die Pedale zu treten, korrekt geradeaus zu fahren, und dann auch noch auf den Verkehr sowie auf die Verkehrszeichen zu achten, dies falle Kindern heute offensichtlich schwerer als in früheren Zeiten. Gleichzeitig beobachtet aber auch Christoph Rüttiger, dass sich das Verhalten der Eltern geändert hat.


Den Schulweg trainieren

Der Schulleiter appelliert immer wieder an die Eltern seiner Schüler, mit ihrem Kind den Schulweg zu trainieren, statt Tag für Tag das Elterntaxi anzubieten. Das tut er aus pädagogischen, sozialen und auch aus ökologischen Aspekten heraus: »Schließlich sind wir Umweltschule.« Die Appelle nützten jedoch nur bedingt: »Sobald ein paar Tropfen vom Himmel fallen, wird das Kind gefahren, damit es bloß nicht nass wird.«

Daneben fahren einige Eltern ihr Kinder auf Dauer zur Schule, weil sie den Schulweg für nicht sicher erachten. Diese Eltern trauten ihrem Kind nicht zu, dass es den Schulweg alleine gut bewältigt. Gleichzeitig wachse aber auch die Bequemlichkeit. Eltern hätten keine Zeit oder keine große Lust, mit dem Kind den Schulweg zu üben. Da packt man es lieber rasch ins Auto und fährt es. Wobei es nach wie vor viele engagierte Eltern gebe, die wüssten, wie wichtig der Schulweg ist: »Laufen Kinder zusammen zur Schule, stärkt das ihre Sozialkompetenz.«

Stolz ist der Frammersbacher Schulleiter auf sein insgesamt 40-köpfiges Team an Schulweghelfern. Darunter seien Eltern, Omas, Opas und ehemalige Lehrer. Schulweghelfer braucht es laut Christoph Rüttiger unbedingt: »Denn wir haben sehr gefährliche Übergänge.«


Schulweghelfer sind wichtig

Die Tatsache, dass Kinder heute mehr motorische Defizite haben als früher, sei inzwischen sportwissenschaftlich untersucht, meint Wolfgang Schmitt, Rektor der Grundschule in Lohr. Auch bei ihm gibt es vereinzelt Viertklässler, die noch nicht Rad fahren können. Als Ursache für die motorischen Defizite sieht der Pädagoge fehlende »Bewegungserfahrungen« an.

Kinder haben nach seiner Beobachtung heute weniger Zeit, sich zu bewegen. Und es gebe weniger »Bewegungsangebote«: »Wenn dann noch Sportstätten geschlossen werden müssen, verschärft sich die Situation.« Durch drei Sportstunden in der Woche, Bewegungspausen, Schnuppertraining und einen jährlichen Sport- und Gesundheitstag versucht seine Schule, gegenzusteuern.

Der Lohrer Schulleiter warnt jedoch auch davor, jede Mutter zu verurteilen, die morgens Chauffeurin »spielt«: »Der Schulsprengel unserer Schule ist groß und manche Schulwege sind gefährlich." Wolfgang Schmitt denkt an die Rechtenbacher und die Partensteiner Straße. »Wir appellieren dennoch immer wieder an die Eltern, ihre Kinder nicht mit dem Auto zu bringen«, betont er. Gleichzeitig ist der Rektor ständig auf der Suche nach Schulweghelfern: «In der Lindigsiedlung benötigen wir an mehreren Bushaltestellen morgens jeweils eine Busaufsicht, außerdem direkt vor dem Schulhaus zwei sowie in Rechtenbach drei für drei Haltestellen.«

Pat ChristMan kann sich auf den Drah­te­sel schwin­gen. Mit dem Ran­zen auf dem Rü­cken zu Fuß zur Schu­le tr­a­ben. Den Rol­ler neh­men. In den Schul­bus stei­gen. Oder sich von Ma­ma chauf­fie­ren las­sen. Es gibt vie­le Mög­lich­kei­ten, den Schul­weg zu­rück­zu­le­gen. Zu­min­dest theo­re­tisch. Prak­tisch schaut die Sa­che an­ders aus. Denn wie ein Kind zur Schu­le kommt, hat auch da­mit zu tun, was es mo­to­risch kann. Nach Be­o­b­ach­tun­gen der Po­li­zei in Main-Spess­art hat sich hier in den ver­gan­ge­nen Jah­ren et­was un­güns­tig ve­r­än­dert.


(Pat Christ)

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